Einwanderungsland Österreich - na und?
OTS0275 5 II 0665 PPR0001 Fr, 19.Mai 2006
Gesellschaftspolitik/Integration
Einwanderungsland Österreich - na und?
Utl.: "Presse"-Leitartikel vom 20.05.06 von Michael Prüller =
Wien (OTS) - Einwanderungsland Österreich _ na und?
LEITARTIKEL von Michael Prüller
Zuwanderung ist unsere größte Chance. Aber es hapert noch stark am Integrationswillen _ der Politiker.
Laut UNO gab es vor zehn Jahren in Österreich rund 720.000 Einwanderer. Heute sind es 1,233 Millionen. Und die Statistik Austria geht bis 2050 von zusätzlichen 100.000 Einwanderern aus _ pro Jahr. Österreich ist ganz klar ein Einwanderungsland. Der Zuzug ist _ gerechnet auf die Gesamtbevölkerungszahl _ größer als in den USA. Und vor allem: Ohne kontinuierliche starke Zuwanderung, so die Statistik Austria, wären wir ein schrumpfendes Land. Schon längst. Die Frage ist freilich: Soll Österreich ein Einwanderungsland sein? Und wenn ja oder nein: Was muss man tun? Sicher nicht nur mehrdeutige Umfragen schlampig zitieren, wie unsere Innenministerin in ihrem jüngsten Beitrag zum laufenden Wahlkampf. Doch klare Vorstellungen zu Immigration und Integration hat keine Partei zu bieten. Wahlkampfsprüche schon. Aber ein wirklich schlüssiges, entspanntes Zuwanderungs- und Einbürgerungskonzept? Da begegnet man etwa immer noch dem Ansinnen, die Zuwanderung zu stoppen. Wenn Österreich ein bisschen schrumpft _ was macht das schon? Liechtenstein und Luxemburg haben ja auch keine Millionenvölker und leben ganz gut. Ein Trugschluss: Nicht die Kleinheit eines Volkes ist ein Problem, sondern der Prozess der Schrumpfung. Frisöre, Automobilhersteller, Bauunternehmer _ alle können gut damit leben, wenn ihr Kundenstock stabil bleibt. Aber die Aussicht, jedes Jahr weniger Kunden zu haben, ist deprimierend. Lohnt es sich noch, zu investieren? Wer kann, wird also dorthin ziehen (oder zumindest sein Geld dorthin schicken), wo der Markt noch wächst. Zudem wird in ländlichen Gegenden die Infrastruktur (vom Schulbus bis zum Kanalnetz) bald sehr teuer. Die Folge: starke Abwanderung in die Großstädte. Das ist alles kein idyllischer Ausblick.
Tatsächlich spricht vieles _ nicht zuletzt der gesunde Menschenverstand _ dafür, uns über Zuwanderer zu freuen. Noch dazu, wo Österreich vielfach mit seinen Immigranten großes Glück hat. Eine der größten Einwanderungsgruppen sind Deutsche. Völlig unauffällig, bis auf ihren Akzent, den sie schwerer loswerden als mancher Vietnamese. Dann haben wir viele Bosnier und Serben _ auch die zählen zu den vergleichsweise anpassungsfähigsten Ethnien. Auch die Moslems unter ihnen. Auch die Türken sind keine ebenso große Integrations-Herausforderung wie Algerier und Marokkaner, die die Hälfte aller Einwanderer in Frankreich ausmachen. Wir haben also die Chance, relativ entspannt Integration zu üben, bevor es wirklich hart wird. Das haben wir da und dort auch schon ganz passabel hingekriegt. Nur müsste man für die Zukunft die schonende Zusammenführung der Kulturen noch viel mehr als eine politische Gestaltungsaufgabe ersten Ranges begreifen und ernst nehmen. Dass in der Bevölkerung eine Mehrheit (und noch dazu besonders viele Junge) der Integration positiv entgegensteht, ist eine eigentlich ermutigende Erkenntnis der Prokop-Studie.
Nur: Was soll denn eigentlich Integration sein? Das weiß keiner. Deutsch lernen _ reicht das? Oder hat bereits jede Einbürgerungschance verwirkt, wer eine Life-Ball-Einladung ablehnt oder wer bei den Worten "Kardinal König" nicht wässrige Augen bekommt? Genügt es, die Einhaltung der Gesetze zu geloben _ oder muss man auch unterschreiben, sie nie und nimmermehr ändern zu wollen? Das ist ja letztlich das Grundmotiv hinter den derzeit diskutierten Integrations-Hürden populistischer Politiker: Dass da unsere Kultur umgeformt werde, bis man bei Palmers nur noch Burkhas bekommt und Fronleichnamsprozessionen nur noch in Privatwohnungen erlaubt sind. Daher bitte Eignungstests! Und Verfassungs-Eide! Ist aber völlig überflüssig: In der Geschichte hat sich immer die Kultur der Stärkeren durchgesetzt. Wobei stärker nicht zahlreicher heißen muss, sondern auch: vitaler, stärker vom Eigenen überzeugt, in den Lebensweisheiten fundierter, tüchtiger, lebensfroher. Sind "wir" in diesem Sinn die Stärkeren, werden wir einen Zuzug von 100.000 Moslems pro Jahr ohne Kulturbruch bewältigen. Sind wir es nicht, können wir über kurz oder lang eine hermetische Grenze ohnehin nicht finanzieren. Dann kommen sie trotzdem. Integrationsarbeit wäre also ein Gebot der Stunde. Aber sie ist auch teuer und verlangt bei den Eingesessenen paradoxerweise sowohl kulturelles Selbstbewusstsein wie auch Veränderungsbereitschaft. Darum ist die ganze Sache politisch so ungeliebt. Und unsere diversen Innenminister agieren dann eben so, wie sie eben agieren.
Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
E-Mail: chefvomdienst@diepresse.com
Gesellschaftspolitik/Integration
Einwanderungsland Österreich - na und?
Utl.: "Presse"-Leitartikel vom 20.05.06 von Michael Prüller =
Wien (OTS) - Einwanderungsland Österreich _ na und?
LEITARTIKEL von Michael Prüller
Zuwanderung ist unsere größte Chance. Aber es hapert noch stark am Integrationswillen _ der Politiker.
Laut UNO gab es vor zehn Jahren in Österreich rund 720.000 Einwanderer. Heute sind es 1,233 Millionen. Und die Statistik Austria geht bis 2050 von zusätzlichen 100.000 Einwanderern aus _ pro Jahr. Österreich ist ganz klar ein Einwanderungsland. Der Zuzug ist _ gerechnet auf die Gesamtbevölkerungszahl _ größer als in den USA. Und vor allem: Ohne kontinuierliche starke Zuwanderung, so die Statistik Austria, wären wir ein schrumpfendes Land. Schon längst. Die Frage ist freilich: Soll Österreich ein Einwanderungsland sein? Und wenn ja oder nein: Was muss man tun? Sicher nicht nur mehrdeutige Umfragen schlampig zitieren, wie unsere Innenministerin in ihrem jüngsten Beitrag zum laufenden Wahlkampf. Doch klare Vorstellungen zu Immigration und Integration hat keine Partei zu bieten. Wahlkampfsprüche schon. Aber ein wirklich schlüssiges, entspanntes Zuwanderungs- und Einbürgerungskonzept? Da begegnet man etwa immer noch dem Ansinnen, die Zuwanderung zu stoppen. Wenn Österreich ein bisschen schrumpft _ was macht das schon? Liechtenstein und Luxemburg haben ja auch keine Millionenvölker und leben ganz gut. Ein Trugschluss: Nicht die Kleinheit eines Volkes ist ein Problem, sondern der Prozess der Schrumpfung. Frisöre, Automobilhersteller, Bauunternehmer _ alle können gut damit leben, wenn ihr Kundenstock stabil bleibt. Aber die Aussicht, jedes Jahr weniger Kunden zu haben, ist deprimierend. Lohnt es sich noch, zu investieren? Wer kann, wird also dorthin ziehen (oder zumindest sein Geld dorthin schicken), wo der Markt noch wächst. Zudem wird in ländlichen Gegenden die Infrastruktur (vom Schulbus bis zum Kanalnetz) bald sehr teuer. Die Folge: starke Abwanderung in die Großstädte. Das ist alles kein idyllischer Ausblick.
Tatsächlich spricht vieles _ nicht zuletzt der gesunde Menschenverstand _ dafür, uns über Zuwanderer zu freuen. Noch dazu, wo Österreich vielfach mit seinen Immigranten großes Glück hat. Eine der größten Einwanderungsgruppen sind Deutsche. Völlig unauffällig, bis auf ihren Akzent, den sie schwerer loswerden als mancher Vietnamese. Dann haben wir viele Bosnier und Serben _ auch die zählen zu den vergleichsweise anpassungsfähigsten Ethnien. Auch die Moslems unter ihnen. Auch die Türken sind keine ebenso große Integrations-Herausforderung wie Algerier und Marokkaner, die die Hälfte aller Einwanderer in Frankreich ausmachen. Wir haben also die Chance, relativ entspannt Integration zu üben, bevor es wirklich hart wird. Das haben wir da und dort auch schon ganz passabel hingekriegt. Nur müsste man für die Zukunft die schonende Zusammenführung der Kulturen noch viel mehr als eine politische Gestaltungsaufgabe ersten Ranges begreifen und ernst nehmen. Dass in der Bevölkerung eine Mehrheit (und noch dazu besonders viele Junge) der Integration positiv entgegensteht, ist eine eigentlich ermutigende Erkenntnis der Prokop-Studie.
Nur: Was soll denn eigentlich Integration sein? Das weiß keiner. Deutsch lernen _ reicht das? Oder hat bereits jede Einbürgerungschance verwirkt, wer eine Life-Ball-Einladung ablehnt oder wer bei den Worten "Kardinal König" nicht wässrige Augen bekommt? Genügt es, die Einhaltung der Gesetze zu geloben _ oder muss man auch unterschreiben, sie nie und nimmermehr ändern zu wollen? Das ist ja letztlich das Grundmotiv hinter den derzeit diskutierten Integrations-Hürden populistischer Politiker: Dass da unsere Kultur umgeformt werde, bis man bei Palmers nur noch Burkhas bekommt und Fronleichnamsprozessionen nur noch in Privatwohnungen erlaubt sind. Daher bitte Eignungstests! Und Verfassungs-Eide! Ist aber völlig überflüssig: In der Geschichte hat sich immer die Kultur der Stärkeren durchgesetzt. Wobei stärker nicht zahlreicher heißen muss, sondern auch: vitaler, stärker vom Eigenen überzeugt, in den Lebensweisheiten fundierter, tüchtiger, lebensfroher. Sind "wir" in diesem Sinn die Stärkeren, werden wir einen Zuzug von 100.000 Moslems pro Jahr ohne Kulturbruch bewältigen. Sind wir es nicht, können wir über kurz oder lang eine hermetische Grenze ohnehin nicht finanzieren. Dann kommen sie trotzdem. Integrationsarbeit wäre also ein Gebot der Stunde. Aber sie ist auch teuer und verlangt bei den Eingesessenen paradoxerweise sowohl kulturelles Selbstbewusstsein wie auch Veränderungsbereitschaft. Darum ist die ganze Sache politisch so ungeliebt. Und unsere diversen Innenminister agieren dann eben so, wie sie eben agieren.
Rückfragehinweis:
Die Presse
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Tel.: (01) 514 14-445
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Respekt - 19. Mai, 23:09