27
Okt
2005

Geht der echte Wiener unter?

Mein werter Leser A. T., Student der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, hat sich nach der Lektüre der ZARA-Stellungnahme zu der FPÖ hingesetzt und auch einen Text verfasst. - Es tut gut zu wissen, dass es couragierte Menschen gibt, die nicht alles einfach so hinnehmen.

Hier nun der Text von von A. T.:


Geht der echte Wiener unter?

HC Strache hat in seinem Wahlkampf mit dem Slogan geworben, dass der echte Wiener untergeht und damit ein unerwartet gutes Resultat erzielt. Der Slogan, der sich auf eine Fernsehserie bezieht und damit einen hohen Bekanntheitsgrad hat, schürt bewusst Ängste der Bevölkerung. Zu Recht?

ECHTE WIENER?
Echte Wiener suggeriert, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen Wienern gibt, dass es echte und unechte oder falsche Wiener gibt. Echt bedeutet im Kontext von Strache’s Wahlkampf ursprünglich, schon immer da gewesen; ein Gütesiegel.

Dabei verkennt Strache, dass das Ursprüngliche, das Echte einer Metropole die Zuwanderung ist. Die Volkszählung 1880 ergab, dass der Anteil der in Wien Geborenen in allen Bezirken unter 50 Prozent lag. Das Leben einer Großstadt speist sich aus dem Mitgebrachten. Wo vorher eine unbedeutende Römersiedlung war, steht heute eine Stadt, die Touristen aus aller Welt anlockt.

Diese Stadt ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde aufgebaut von denen, die kamen. Von denen, die blieben oder wieder gingen, die hier lebten und starben, die sich einbrachten, und denen eingebracht wurde; und die fähig waren miteinander etwas aufzubauen. Nicht alle kamen freiwillig, nicht alle wurden freundlich aufgenommen, aber alle haben dazu beigetragen, dass sich Wien entwickelt hat. Und sich nach wie vor entwickelt, immer weiter, ohne Ende. Wien wurde, wo vorher nichts war; durch Menschen die hier vorher nicht waren. Sie alle sind Ursprung Wiens, sie alle sind echte Wiener.

WER GEHT UNTER?
Untergehen: Ein unwiederbringlichen Verlust; ein Verschwinden, ganz tief unten, ohne Aussicht auf Rückkehr.

Wir haben Angst, etwas zu verlieren. Unsere Arbeit, unsere Identität, eine stabile Ordnung, die Sicherheit gibt. Das ist nicht schön.

Einwanderer haben diese Angst nicht. Sie haben schon verloren. All das. Und noch viel mehr. Und können nichts gewinnen, sollen nichts gewinnen können, wenn es nach Strache geht. Haben wir nichts zu geben? Heißt geben, etwas zu verlieren? Sich zu verausgaben? Was wäre Wien, wenn uns andere nichts gegeben hätten?

Einwanderung bringt Veränderung. Wenn Veränderung Untergang ist, dann ist Wien schon oft untergegangen, dann geht Wien ununterbrochen unter. Und wird ununterbrochen neu. Bleibt frisch. Und Lebendig. Im unabwendbaren Rhythmus der Zeit. Wien wird nie wieder so sein wie heute. Das macht uns Angst, weil uns das Wien von heute gefällt, weil wir es kennen und lieben, und nicht mit Bestimmtheit sagen können, was kommen wird. Niemand kann das.

Doch das Wien von heute ist das Resultat permanenter Veränderung. Es ist nicht so, wie es vor 50 Jahren war, und vor 50 Jahren war es anders als vor 100 Jahren. Alles Geschichte, alles unwiederbringlich verloren? Nein. Was war ist nicht vorbei. Es lebt fort. Es lebt fort, solange Wien lebt, sich entwickelt, fortschreitet, sich immer wieder erneuert. Nicht im Museum, sondern in den Niederungen des Alltags, im täglichen Überlebenskampf, wo aus dem, was einmal war, wird, was einmal gewesen sein wird.

Nur wer in die Zukunft blickt, ehrt die Vergangenheit. Wer im Gestern verweilt, besiegelt dessen Untergang. Wenn nichts mehr nachkommt, bleibt nichts von dem was war. Außer Ruinen.

Der echte Wiener geht nicht unter. Er kann nicht untergehen. Er ist der, der sich einbringt und teilnimmt, der mitgestaltet und verändert. Der Wien lebt. Egal woher er kommt.
against-racism - 27. Okt, 20:32

SUPER TEXT!!!!!
Ich finde, dieser Text bringt das Thema ziemlich genau auf den Punkt...
Und es ist schön, mal solche Gedanken zu lesen!!!
Liebe Grüße!
Lisa

viavai - 28. Okt, 00:03

Viva la [?] Luftbad

Wie schön, ein Zaraist in diesen Reihen!

http://www.zara.or.at

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