11
Nov
2005

Paris als Warnung für Wien

DER STANDARD-Kommentar:
Paris als Warnung für Wien
Schüssel und Häupl sollten rasch ein Paket für bessere Integration schnüren
von Gerfried Sperl

Nie und nimmer könne ein Aufruhr wie der französische sich auch in Wien oder in einer anderen größeren österreichischen Stadt ereignen. Sagen die Regierungspolitiker. Ein Teil ihrer Argumentation stimmt sicher: dass sich Paris und Wien nicht 1:1 vergleichen lassen. Erstens, weil die Arbeitslosigkeit hier nicht so dramatisch ist. Zweitens, weil die Wiener Wohnungspolitik derart desolate Quartiere wie die in Paris verhindert hat.

Die "Professionalität" der Wiener Polizei in der Ausländerfrage lässt allerdings wenig Optimismus zu. Bei einem Zusammentreffen (aggressiver) Zufälle können Flammen hochgehen. Dann würden Krisenstäbe analysieren, wie es dazu kommen konnte. Die Kommentare wären voller Erstaunen und Mitleid.

Schon jetzt ist, ohne Analyse und Krisenstab, festzuhalten. 1. Die Zahl der Begleitlehrer in den Klassen mit hohem Ausländeranteil wurde von der schwarzen und sonst wie gefleckten Regierung massiv reduziert. 2. Es gibt viel zu wenige Schulpsychologen. Finnland hat zehnmal so viele wie Österreich. 3. Gekürzt wurden auch die Dotationen für Sozialvereine, die sich der Integration von Ausländern widmen. Der Bund und Wien schieben sich bei den Mängeln der Integration gegenseitig die Schuld zu. Sie handeln aber beide nicht.

An den Schulen werden keine Unruhen ausbrechen. Aber die schweren Fehler in der Bildungspolitik hinterlassen tausende ausländischer und eingebürgerter Jugendlicher, die genau deshalb keine Jobs finden. Sie sind unterqualifiziert. Sie sind frustriert. Und können sich deshalb in eine lose Gruppierung nicht nur ungeduldiger, sondern auch gewaltbereiter junger Leute (vor allem Männer) verwandeln. Wer die U-Bahnen täglich benützt, kennt die Ansätze. Faktum ist, dass in Wien 700 Begleitlehrer fehlen, die - rein formal - vom Bund gezahlt werden müssten. Faktum ist aber auch, dass die Stadtregierung immer noch recht wohlhabend ist und dass ihr Bürgermeister kurz nach der Wahl eher vage eine Initiative in diese Richtung angekündigt hat. Seither hat man nichts mehr gehört. Nur die Grünen haben dieses Thema in ihre Punktation für eine Zusammenarbeit mit der SPÖ aufgenommen.

Gefordert sind beide - Bundeskanzler Schüssel und Bürgermeister Häupl. Das Geld für diese 700 Lehrer aufzubringen wäre nicht nur eine Investition in Menschlichkeit und bessere Bildung, sondern gleichzeitig ein Wirtschaftsimpuls - und eine europäische Vorbildhandlung.

In einem Kommentar für den Guardian vom Donnerstag hat der britische Historiker Timothy Garton Ash geschrieben, massive finanzielle Maßnahmen für die Integration seien gleich wichtig wie die Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit: "Wo jetzt das Feuer spricht, dort liegt die Arbeitslosenrate der unter Dreißigjährigen bei 40 Prozent. Die den Rechtsradikalen Le Pen wählen, das sind vor allem die Arbeitslosen über fünfzig." Angesichts des Zuwachses der ehemaligen und noch nicht eingebürgerten Immigrantenfamilie und der sich steigernden Konflikte "sind die sechstausend verbrannten Autos nicht mehr als ein Horsd’œuvre".

Schüssel und Häupl sollten sich zusammensetzen und eine Finanzierung finden. Dafür sind sie gewählt. Gelingt ihnen das nicht, müssen sie auch für die entstandenen und noch zu erwartenden Probleme verantwortlich gemacht werden. So einfach ist das.

Begleitend zu den schulischen Investitionen sind auch Wirtschaft, Industrie, Arbeiterkammer und Gewerkschaft gefragt. Vielleicht sollte man sich überlegen, einen Teil des Streikfonds in Strukturreformen zu stecken. Oder mit Bawag-Geldern etwas Sinnvolleres zu machen, als sie bei den "Heuschrecken" (Copyright Franz Müntefering) anzulegen und sie irgendwo im weiten Feld der Finanzhaie zu verlieren. Alles ist auch eine Frage der Prioritäten.

Wir sollten auch hier zu Lande aufpassen: Wenn der soziale Lift defekt ist, müssen auch wir, die Angestammten, die Stiegen benützen. Das schaffen viele nicht (mehr).

„Seibane Wague“-Prozess: Zwei Schuldsprüche, acht Freisprüche

Staatsanwältin Rudas bekämpft Freisprüche

Schockierend mild ist das Urteil im Prozess um den Tod des Mauretaniers Seibane Wague während einer Amtshandlung vor über zwei Jahren ausgefallen - sieben Monate bedingte Haft für den Notarzt und einen Polizisten, alle anderen acht beteiligten Personen wurden freigesprochen. Die Meinung von ZARA in dieser Causa deckt sich mit den Schlussworten der Staatsanwältin Sabine Rudas-Tschinkel, welche die Mitverantwortung aller Beteiligten an der tödlichen Amtshandlung betont hat. Für die Anklägerin steht fest, dass alle zehn Beschuldigten zu verurteilen gewesen wären. Nach aktuellen Meldungen wird die Staatsanwältin Rudas die acht Freisprüche bekämpfen. ZARA weist auf die Notwendigkeit hin institutionell etwas zu ändern. „Um Professionelles, menschenrechtskonformes Arbeiten innerhalb der Exekutive sowie im Rettungs- und Gesundheitswesen zu gewährleisten, müssen Vorurteile, Stereotypen und Rassismen aktiv bearbeitet werden. Präventive Maßnahmen sind notwendig um in Zukunft Fälle dieser Art zu verhindern. Der tragische Tod von Sheibane Wague muss auf institutioneller Ebene konsequente Lernprozesse nach sich ziehen“, betont ZARA-Obmann Dieter Schindlauer.

Ausführliche Berichte dazu unter:
Online-Standard
Die Presse
ORF
www.no-racism.net
www.afrikanet.info

Stellungnahme der "Plattform Gerechtigkeit für Seibane Wague"

ai zum Tod von Seibane Wague
http://www.zara.or.at

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